Helmut Sauer: Nachruf auf einen schlesischen Patrioten

Am 10. Janu­ar 2024 wur­de Hel­mut Sau­er vom All­mäch­ti­gen heim­ge­ru­fen. Sein Tod ist ein Ver­lust für die Lands­mann­schaft Schle­si­en, Schle­si­en und Deutsch­land. Mit ihm ver­liert die schle­si­sche Schick­sals­ge­mein­schaft einen schle­si­schen, deut­schen Mit­strei­ter euro­päi­scher Gesin­nung. Hel­mut Sau­er wur­de am Hei­lig­abend 1945 auf Gut Qui­cken­dorf im Kreis Fran­ken­stein als zwei­tes Kind von Alfons Sau­er, gebür­tig aus Strie­gau, und Flo­ren­ti­ne-Hed­wig Sau­er, geb. Stais, gebür­tig aus Rati­bor, gebo­ren. Der Zwei­te Welt­krieg war seit mehr als einem hal­ben Jahr vor­bei. Die Deut­schen waren Repres­sa­li­en und Gewalt aus­ge­setzt. Den­noch gelang die Tau­fe am 3. Febru­ar 1946 in St. Bar­ba­ra im benach­bar­ten Peter­witz also noch auf schle­si­schem Boden.

Doch am 28./29. April 1946 wur­de die Fami­lie aus Schle­si­en ver­trie­ben. Zunächst ging es in die Kreis­stadt Fran­ken­stein, wo man die Deut­schen aus der Gegend zusam­men­trieb und noch­mals aus­plün­der­te. Dann wur­den sie in unbe­heiz­te Vieh­wag­gons ver­frach­tet, und eine sechs­tä­gi­ge Fahrt mit unge­wis­sem Ziel begann, die dann im nie­der­säch­si­schen Len­ge­de ende­te. Hel­mut Sau­er hat spä­ter häu­fig von den Erin­ne­run­gen sei­ner Eltern an die trau­ma­ti­sche Ver­trei­bung berich­tet, die ins­be­son­de­re sei­ne Mut­ter sehr belas­te­ten, zumal sie außer dem Säug­ling Hel­mut auch noch die bereits zwei­jäh­ri­ge Toch­ter Rena­te hat­te. Seit 1967 leb­ten die Sau­ers (Vater und Mut­ter sind inzwi­schen ver­stor­ben) in der Stahl­ar­bei­ter-Stadt Salz­git­ter. Als Schü­ler ver­ließ Hel­mut Sau­er das Eltern­haus bald schon für eini­ge Jah­re. Es ging in die Bun­des­haupt­stadt Bonn ins Inter­nat an das renom­mier­te Col­le­gi­um Jose­phinum, das damals noch unter der Füh­rung des Redemp­to­ris­ten-Ordens (CSsR) stand. Nach der Mitt­le­ren Rei­fe durch­lief Hel­mut Sau­er eine kauf­män­ni­sche Leh­re in der Grund­stücks- und Wohnungswirtschaft.

1965 trat er dann noch 19-jäh­rig in die ört­li­che CDU ein – viel­leicht etwas zum Leid­we­sen sei­nes Vaters, der über Jah­re für den Block der Hei­mat­ver­trie­be­nen und Ent­rech­te­ten (BHE) in den Len­ge­der Gemein­de­rat gewählt wor­den war und dort auch als 1. Bei­geord­ne­ter gewirkt hat­te. In der CDU enga­gier­te Hel­mut Sau­er sich zunächst vor allem für die Jugend, in den CDU-Sozi­al­aus­schüs­sen (CDA) und im Sin­ne der Ver­trie­be­nen. Wie sehr gera­de die Hei­mat­ver­bun­den­heit sei­ner Eltern auch auf ihn über­ge­gan­gen war, zeigt sich u.a. dar­in, dass er schon 1967 mit dem Stadt­ju­gend­ring Salz­git­ter eine Rei­se in die schle­si­sche Hei­mat mach­te. Ein weg­wei­sen­der Besuch, dem noch unzäh­li­ge wei­te­re fol­gen soll­ten. 1971, mit gera­de 25 Jah­ren, über­nahm er den Vor­sitz des CDU-Kreis­ver­ban­des Salz­git­ter. Die­ses Amt hat­te er bis 1993 inne. Bereits ein Jahr spä­ter, mit 26 Jah­ren, zog er über die Lis­te der CDU in Nie­der­sach­sen als damals jüngs­ter Abge­ord­ne­ter erst­mals in den Deut­schen Bun­des­tag ein. Bis zur Wahl 1994 ver­trat er den Wahl­kreis Salz­git­ter-Pei­ne im Deut­schen Bun­des­tag, trat dabei immer wie­der als CDU-Direkt­kan­di­dat an, konn­te aber in der Arbei­ter-Regi­on trotz über­zeu­gen­der Wahl­kämp­fe und gro­ßen Respekts vor Ort das Man­dat nie direkt errin­gen, son­dern zog stets über die Lan­des­lis­te ein. Die­sem Man­dat ging ein akti­ves gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment im Bund der Deut­schen Katho­li­schen Jugend, im Christ­li­chen Jugend­dorf­werk Deutsch­lands, in der Gewerk­schaft Han­del, Ban­ken und Ver­si­che­run­gen, als Betriebs­ju­gend­spre­cher, Betriebs­rats­mit­glied sowie, in den “CDA-Sozi­al­aus­schüs­sen“, in der Jun­gen Uni­on und in der CDU vor­aus. Als­bald stell­te er sich auch ehren­amt­lich in den Dienst des Bun­des der Ver­trie­be­nen (BdV), der Lands­mann­schaft Schle­si­en und der Ost- und Mit­tel­deut­schen Ver­ei­ni­gung (OMV) der CDU/CSU. Die­se Par­tei­ver­ei­ni­gung ver­trat er auch im CDU-Bun­des­vor­stand (1989–2017).  Für ihn selbst­ver­ständ­lich war als „stän­di­ger Gast“ die Mit­ar­beit in der Arbeits­grup­pe der Flücht­lin­ge und Ver­trie­be­nen in der CDU/C­SU-Bun­des­tags­frak­ti­on.

Im Mai 1982 wur­de der damals knapp 37-jäh­ri­ge Hel­mut Sau­er zum Lan­des­vor­sit­zen­den der Lands­mann­schaft Schle­si­en, Nie­der- und Ober­schle­si­en e.V., in Nie­der­sach­sen, dem Paten­land für die Lands­mann­schaft Schle­si­en, gewählt. Mit die­ser Wahl in das ehren­amt­li­chen Amt als Lan­des­vor­sit­zen­der trat er ein schwe­res Erbe an und über­nahm zugleich eine nicht ein­fa­che Auf­ga­be: denn obwohl Nie­der­sach­sen das Bun­des­land ist, in dem die meis­ten Ver­trie­be­nen aus Schle­si­en nach 1945 anka­men, sind die lands­mann­schaft­li­chen Struk­tu­ren infol­ge der bereits 1954 unglück­lich gewähl­ten Ver­bin­dungs­struk­tu­ren zu den über­ge­ord­ne­ten Glie­de­run­gen des Bun­des der Ver­trie­be­nen (BdV) sehr in ihrer Eigen­stän­dig­keit, ins­be­son­de­re im Bereich der Finanz­ho­heit, ein­ge­schränkt. Doch der ehe­ma­li­ge Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Hel­mut Sau­er hat mit dem schle­si­schen Dich­ter Ange­lus Sile­si­us eins gemein­sam, bei­de haben am glei­chen Tag Geburts­tag: Wer am Hei­lig Abend das Licht der Welt erblickt, muss ein beson­de­rer Mensch sein… daher ver­such­te Hel­mut Sau­er nach bes­ten Kräf­ten die­se schwie­ri­ge Situa­ti­on in eige­nen Lan­des­ver­band zu meistern.

Von 1984 bis 1992 und von 2000 bis 2014 wirk­te er als Vize­prä­si­dent des Bun­des der Ver­trie­be­nen (BdV). Eng arbei­te­te er mit den katho­li­schen Visi­ta­to­ren der Ver­trei­bungs­ge­bie­te, den deut­schen „Ersatz-Bischö­fen aus den Ver­trei­bungs­ge­bie­ten“, zusam­men und wur­de durch sein Enga­ge­ment für das Schle­si­sche Pries­ter­werk und in der eins­ti­gen Apos­to­li­schen Visi­ta­tur Bres­lau auch zum Mit­glied im Katho­li­schen Flücht­lings­rat ernannt.

Zahl­rei­che Rei­sen nach Schle­si­en waren für ihn eine selbst­auf­er­leg­te Selbst­ver­ständ­lich­keit. Egal ob Nie­der- oder Ober­schle­si­en, Hel­mut Sau­er war immer dort zuge­gen, wo es um Schle­si­ens Zukunft ging, wo um die Auf­ar­bei­tung der schle­si­schen Geschich­te gerun­gen wur­de. Hel­mut Sau­er wur­de für sei­nen Ein­satz bereits 1981 mit der Gol­de­nen Ehren­na­del des Bun­des der Ver­trie­be­nen, 1987 mit dem Bun­des­ver­dienst­kreuz, 1994 mit dem Bun­des­ver­dienst­kreuz 1. Klas­se, 1999 mit dem Schle­si­er­kreuz der Lands­mann­schaft Schle­si­en und 2006 mit der Kar­di­nal-Bert­ram-Medail­le der Apos­to­li­schen Visi­ta­tur Bres­lau aus­ge­zeich­net. Eine der ergrei­fends­ten Ehrun­gen war zuletzt die Ver­lei­hung der Ver­dienst­me­dail­le des Ver­ban­des der deut­schen sozi­al-kul­tu­rel­len Gesell­schaf­ten in Polen (VdG) 2021 in Kat­to­witz, für die der Geehr­te nur mit trä­nen­er­stick­ter Stim­me dan­ken konnte.

In den letz­ten Lebens­jah­ren mach­ten Hel­mut Sau­er gesund­heit­li­che Pro­ble­me immer wie­der zu schaf­fen. Die Kraft für sein Han­deln schöpf­te er aus dem tie­fen christ­li­chen Glau­ben, der den beken­nen­den Katho­li­ken stets begleitete.

Dami­an Spielvogel